Ruhig Fury! erzählt euch heute eine kleine Geschichte:
»Da es dem König aber wenig gefiel, dass sein Sohn, die kontrollierten Straßen verlassend, sich querfeldein herumtrieb, um sich selbst ein Urteil über die Welt zu bilden, schenkte er ihm Wagen und Pferd. ‚Nun brauchst du nicht mehr zu Fuß zu gehen’, waren seine Worte. ‚Nun darfst du es nicht mehr’, war deren Sinn. ‚Nun kannst du es nicht mehr’, deren Wirkung.«
Dem Ruhig Fury! gefällt natürlich die Story mit dem Pferd, aber im Ernst: wir haben heute »Big Data«, reden von »Industrie 4.0« und machen Gesetze fürs autonome Fahren. Aber die Geschichte, die uns Günther Anders 1956 erzählt, funktioniert auch heute und sie funktioniert auch mit der B15 neu.
Mobilität erschloss einst unerreichbare gut bezahlte Arbeitsplätze. Und am Wochenende die Disko, die idyllischen Seen und Berge, in den Ferien die wilden Pfade Italiens. Für die meisten war das wirklich ein Stück neue Freiheit, praktisch »Easy Rider«, heraus aus der Enge.
»Unseren sinkenden Lebensstandard« diagnostizierte der Publizist Sebastian Haffner aber schon 1966: Dauer-Stau in eng gewordenen Städten und die Zerstörung der Natur durch deren Zurichtung für den Massentourismus waren unübersehbar. Haffner erkennt zweierlei: Um knappe Verkehrsressourcen führen Autobesitzer einen täglichen Konkurrenzkampf, und Naturschönheit wird im selben Maß zerstört wie ihre Erschließung zunimmt.
Spätestens seit dem Ölpreisschock von 1973 war allen Beobachtern die Schattenseite der Automobilisierung klar geworden: Lärm, Abgase, verkehrsgerecht umgebaute Städte, Abhängigkeit vom Energieträger Öl, Anpassungszwänge des mobilisierten Menschen. Aus dem »du kannst« ist längst ein »du musst« geworden.
Und so sind aus gewachsenen Regionalstrukturen synthetische Agglomerationen von Fertigungs- und Servicestellen geworden. Hocheffiziente »Metropolregionen« entstehen aus dem Zwang zur Konzentration vermittels Mobilität: Es ist die Zeit von »Grün Kaputt«.
Immer noch behaupten Ökonomen und Politiker, Investitionen in Verkehrsinfrastruktur; seien nötig fürs Wachstum. Ja, Fernstraßen sind die Schlagadern der Globalisierung, sie vernetzen Warenverkehr und machen Arbeitskraft und Dienstleistungen überall verfügbar. Mensch, Stadt und Land haben sich anzupassen. Die Politik ist nicht mehr in der Lage, das Dogma der Mobilität in Frage zu stellen.
Denn die massenhafte mobile Aufrüstung der zweiten und dritten industriellen Revolution hat die Systemträger Automobilindustrie und Energiekonzerne unter der Hand zu Kulturträgern ermächtigt. Die deprimierende Folgerung: »Freie Fahrt für freie Bürger« ist das zynische Synonym von Zurichtung der Bürger für deren Selbstmobilisierung unter dem Druck globaler Märkte! »Frei« wählen können wir höchstens die Farbe des Autos.
Tatsächlich kostet uns der Zwang zur Mobilität Familienzeit und Familieneinkommen. Er kaschiert den Niedergang der Nahversorgung und macht den Zugang zu Einrichtungen der Daseinsfürsorge zur Privatsache. Nachbarschaftshilfen können davon erzählen.
Wir wollen aber nicht, dass Automobil- und Energiekonzerne entscheiden, wie wir zu leben haben! Und mit »Big Data« greift Big Brother bald noch tiefer in unser Leben ein.
Davon mehr beim nächsten Mal,
Euer Ruhig Fury!
13. 4. 2017
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