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Kolumne vom 28. September 2019: Der destruktive Charakter. Zur Eröffnung der A 94 am 30. September 2019

Am 30. September wird das letzte Teilstück der Autobahn A 94 durchs Isental eröffnet. RuhigFury! hat dazu traurige Gedanken.

» Das ist ein trauriger Tag für das Isental und ein trauriger Tag für die Region. Eröffnet wird ein Wahrzeichen verfehlter Planung. Ein makabres Mahnmal bezeugt ab jetzt die Ignoranz, Gewalt und Absurdität von Wachstum um jeden Preis. Das ist ein Fortschritt, der nichts Gewachsenes duldet. Ein Fortschritt, der nur zerstören kann.

Der 30. September 2019 wird auch für die Leute von Stop B15 neu immer ein Tag der Trauer sein. Und der 30. September 2019 wird ab jetzt immer Gedenktag sein und Mahnung:

Nie wieder darf sich so etwas wiederholen!

Auch die B15 neu ist für die Planer noch nicht vom Tisch, fleißig bearbeitet beispielsweise das Straßenbauamt Landshut die Fortführung der gelben Autobahn südlich von A 92 und Isar bei Landshut. Noch immer gibt es die Raumordnungstrasse der B15 neu, die von Landshut bei Obertaufkirchen auf die A 94 treffen soll. Noch immer gibt es Stimmen, die den Bau dieser weiteren Autobahn wollen.

Diesen widmet der Ruhig Fury! die folgenden Zeilen. Sie sind nicht aktuell, sie stammen vom Philosophen Walter Benjamin (1920-1940), der in einer existenziellen Krise den „destruktiven Charakter“ des Fortschritts aufzeichnete. RuhigFury! findet, er beschreibt mit prophetischer Kraft:

Der destruktive Charakter*

Der destruktive Charakter kennt nur eine Parole: Platz schaffen; nur eine Tätigkeit: räumen. … Zerstören verjüngt, weil es die Spuren unseres eigenen Alters aus dem Weg räumt; es heitert auf, weil jedes Wegschaffen dem Zerstörenden eine vollkommene Reduktion, ja Radizierung seines eignen Zustands bedeutet. …

  Der destruktive Charakter ist immer frisch bei der Arbeit. Die Natur ist es, die ihm das Tempo vorschreibt, indirekt wenigstens: denn er muss ihr zuvorkommen. Sonst wird sie selber die Zerstörung übernehmen. … Er hat wenig Bedürfnisse, und das wäre sein geringstes: zu wissen, was an Stelle des Zerstörten tritt. Zunächst, für einen Augenblick zumindest, der leere Raum, der Platz, wo das Ding gestanden, das Opfer gelebt hat. Es wird sich schon einer finden, der ihn braucht, ohne ihn einzunehmen. …

  Der destruktive Charakter ist gar nicht daran interessiert, verstanden zu werden. …

  Der destruktive Charakter steht in der Front der Traditionalisten. Einige überliefern die Dinge, indem sie sie unantastbar machen und konservieren, andere die Situationen, indem sie sie handlich machen und liquidieren. Diese nennt man die Destruktiven. …

  Der destruktive Charakter sieht nichts Dauerndes. Aber eben darum sieht er überall Wege. Wo andere auf Mauern oder Gebirge stoßen, auch da sieht er einen Weg. Weil er aber überall einen Weg sieht, hat er auch überall aus dem Weg zu räumen. … Das Bestehende legt er in Trümmer, nicht um der Trümmer, sondern um des Weges willen, der sich durch sie hindurchzieht.

  Der destruktive Charakter lebt nicht aus dem Gefühl, dass das Leben lebenswert sei, sondern dass der Selbstmord die Mühe nicht lohnt.

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Am 30. September wird das letzte Teilstück der Autobahn A 94 durchs Isental eröffnet. Der 30. September 2019 wird immer ein Tag der Trauer sein.«

* Den ganzen Text von Walter Benjamin findet ihr hier.

29. 9. 2019

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