Ein Appell an Bundesregierung und Verkehrsminister
Sie haben es bestimmt schon gehört oder gelesen: Die Regierung plant die Beschleunigung wichtiger Infrastrukturprojekte aus dem Bundesverkehrswegeplan (BVWP) 2030. In diesem zentralen Planungstool des Bundes ist auch die B15 neu gelistet. Sind weiterer Fernstraßenbau und seine Beschleunigung eigentlich zeitgemäß, fragen wir?
Beim BVWP 2030 geht es um viel Geld: rund 270 Milliarden Euro, für die geplanten Straßenbauprojekte sind davon 49 Prozent eingeplant.
Um das alles umzusetzen, sollen nun verwaltungsgerichtliche Verfahren zeitlich gestrafft werden. Als Vorbild für die Beschleunigung, so sehen es die Ampel-Koalitionäre, gilt der Bau der LNG-Terminals, die im vergangenen Jahr nach Putins Überfall auf die Ukraine in Windeseile beschlossen und gebaut wurden.
Die Klimakrise – welche Rolle spielt sie bei den Planungen?
Weite Teile der Bevölkerung finden, dass es längst genug Straßen in Deutschland gibt. Auf einen Ausbau des Straßennetzes sollte verzichtet werden, wenn dafür die Artenvielfalt besser geschützt werden kann, sagen 82 Prozent in einer Umfrage, wenn das Klima besser geschützt (78%), wenn weniger Naturflächen verbraucht würden (77%).
„Es hat sich etwas Gravierendes verändert“, sagt auch Urs Maier von Agora Verkehrswende, einer Initiative für klimaneutrale Mobilität. „2016 als der Bundesverkehrswegeplan veröffentlicht wurde, gab es das Klimaschutzgesetz noch nicht.“ Die Klimaschutzziele hatten demzufolge im BVWP 2030 noch keinen Nachhall finden können.
Um was geht genau es bei den Klimaschutzzielen? In erster Linie um Emissionsminderungen: 65 Prozent Treibhausgas-(THG-)minderung bis 2030 und THG-Neutralität bis 2045. So hat es die Vorgängerregierung im Bund für die einzelnen Wirtschaftssektoren mit dem Klimaschutzgesetz beschlossen.
Der motorisierte Straßenverkehr ist für stolze 94 Prozent der THG-Emissionen des Verkehrssektors verantwortlich. Auch interessant: Viele der im BVWP 2030 enthaltenen Projekte sind Fortschreibungen, die z.T. über 40 Jahre alt sind. Dazu gehört auch die B15 neu, die ihre traurige Langzeit-Karriere 1974 als Autobahn Regensburg – Rosenheim begonnen hat.
Das Klimaschutzgesetz fußt übrigens auf dem wegweisenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 24. März 2021. Dieses hatte für Verantwortliche in der Politik und für Bürgerinnen und Bürgern im Land klargestellt: „Der Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG schließt den Schutz vor Beeinträchtigungen grundrechtlicher Schutzgüter durch Umweltbelastungen ein …“. Und weiter mahnten die obersten Verfassungsschützer Deutschlands, dass die „Schutzpflicht des Staates … auch die Verpflichtung [umfasst], Leben und Gesundheit vor den Gefahren des Klimawandels zu schützen. Sie kann eine objektivrechtliche Schutzverpflichtung auch in Bezug auf künftige Generationen begründen.“
Was macht die Bundesregierung?
Seit Dezember 2022 läuft die sogenannte Bedarfsplanüberprüfung. Etwa alle fünf Jahre wird damit der jeweils aktuelle BVWP auf den Prüfstand gestellt. In diesem Zusammenhang würden dann auch die aktuellen Klimaschutzziele berücksichtigt, so der zurzeit zuständige Minister.
Am 26. Januar 2023 wurde im Koalitionsausschuss das Thema der Planungsbeschleunigung verhandelt. Das BMDV bzw. der Verkehrsminister brachte eine Liste mit 144 Autobahnprojekten aus dem BVWP 2030 ein, welche er beschleunigt umsetzen will. Auswirkungen auf Klima und Natur im Rahmen von Planung und Umsetzung blieben dann unberücksichtigt, rechtsstaatliche Güterabwägungen sowie Prüfungen natur- und klimaverträglicher Alternativen hinfällig. All dies steht „einer zukunftsfähigen Verkehrsinfrastruktur im Wege“, moniert der BUND.
Wie ist die Studienlage?
Dass sich Mobilität verändert, ergab schon eine ADAC-Studie von 2017: Das Auto verliere seine dominierende Stellung und der Bedarf an Mobilitätsoptionen steige, heißt es dort. Der Mix verschiebe sich zu intelligenten Verkehrsmitteln in Form eines individualisierten ÖPNV und der verstärkten Nutzung von Fahrrädern und Carsharing. Insbesondere die Lebensstile junger Familien erforderten zunehmend ein intelligentes Zeit- und Mobilitätsmanagement.
Die aktuelle Kurzstudie über Klimaschutzbeiträge von 2023 sieht den Fernstraßenbau kritisch und legt noch eins drauf: „Neue Straßen schaden dem Klima mehr als gedacht“. Die Klimawirkung werde nicht korrekt berechnet. So werden beispielsweise die durch den Straßenbau zerstörten Moore und Wälder, die bisher Kohlendioxid speichern, bei der Berechnung der Klimaschäden für den BVWP beinahe gänzlich ignoriert. Der wirtschaftliche Schaden durch das ausgestoßene CO2 sei überdies um den Faktor fünf zu niedrig berechnet. Richard Mergner, der Vorsitzende des Bund Naturschutz, sagt, „dass hier mit falschen Werten gerechnet wurde“.
Ein Rechtsgutachten, welches der Bund Naturschutz in Deutschland (BUND) 2021 beauftragt hatte, kommt zu dem Schluss, dass weder der Bedarfsplan noch der BVWP 2030 die Vorgaben nach EU-Recht erfüllen, weil Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie über die strategische Umweltprüfung (SUP-RL) nicht beachtet und geforderte Alternativen nicht vorgelegt werden.
BUND und Greenpeace weisen in ihrer aktuellen Analyse vom Februar 2023 nach, dass allein die CO2-Emissionen der rund 600 Fernstraßenprojekte im Vordringlichen Bedarf (VP) bei über einer Million Tonnen pro Jahr liegen – doppelt so viel, wie der Umweltbericht zum BVWP 2030 ausweist. Zudem wurden entscheidende Anteile der Emissionen durch den Bau im Umweltbericht nicht ausreichend berücksichtigt. Ausschließlich der Bau der VP-Fernstraßenprojekte verbraucht über 13.000 Hektar Fläche. Die Analyse fordert, alle Fernstraßen-Projekte erst einmal auf Eis zu legen.
Ein Positionspapier, das Agora Verkehrswende gemeinsam mit der Stiftung Klimaneutralität gleichfalls 2021 in Auftrag gegeben hat, nennt vier Planungsgrundsätze, die künftig bei der Verkehrsplanung befolgt werden sollten: Einhaltung der Klimaschutzziele, Priorisierung des Bahnausbaus, Vorrang von Substanzerhalt gegenüber Aus- und Neubau sowie die Pflicht zur Einbeziehung alternativer Verkehrsträger.
Man könnte noch viele weitere Studien zitieren, aber das Resultat ist – betrachtet man die Auswirkungen des Fernstraßenbaus auf die Klimakrise – immer gleich.
Ein Ende der klimapolitischen Geisterfahrt? Wie kann es gelingen?
Bis eine klimagerechte Verkehrsplanung in Deutschland durchdacht und vorbereitet ist, könnte ein Moratorium für den BVWP 2030 wichtig werden. Das jedenfalls fordern die Umweltverbände Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Deutsche Umwelthilfe (DUH), Germanwatch, Greenpeace, der Naturschutzbund Deutschland (NABU), der Verkehrsclub Deutschland (VCD) und der Umweltdachverband Deutscher Naturschutzring.
Im Umweltbundesamt (UBA) macht man sich einstweilen Gedanken darüber, wie die Bundesverkehrswegeplanung weiterzuentwickeln ist, damit sie endlich den Erfordernissen des Umwelt- und Klimaschutzes gerecht wird. So soll für die künftige Planung eine bundesweite Verkehrsinfrastrukturgesellschaft geschaffen werden, die verkehrsträgerübergreifend die Straßen-, Schienen- und Wasserstraßeninfrastruktur plant, eine durchdachte Nutzerfinanzierung soll den Substanzerhalt im Bundeseigentum sicherstellen und externe Umweltkosten internalisiert und verursachergerecht für Bundesautobahnen, Schienen und Wasserstraßen umgelegt werden.
Und was machen eigentlich andere Länder in Sachen Verkehr?
In Österreich hat die Verkehrswende schon begonnen. In unserem Nachbarland will man den Flächenverbrauch reduzieren, die Artenvielfalt erhalten und die THG-Emissionen runterbringen. Das nutze der Gesundheit der Menschen, verhindere weitere Luftschadstoffe und Mikroplastik in der Umwelt, Lärm wird durch Tempolimits reduziert. Die österreichische Wende begann mit einem Stopp der Neu-und Ausbauplanungen. Das eröffnete Politik und Land Handlungsoptionen. Ein neu erstellter Mobilitätsmasterplan priorisiert Verkehrsminderung und -verlagerung und berücksichtigt THG- bzw. CO2-Emissionen bereits beim Bau von Fernstraßen. Ein Kurzfassung des österreichischen Weges finden Sie hier.
Wir bleiben dabei: