Kolumne: Ablasshandel mit der Maut

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Der Ruhig Fury! hat es geahnt: Nach dem Jahres-Pickerl soll die europäische Strecken-Maut kommen. Um die Umwelt zu schützen? Warum das kein Grund zum Jubeln ist!

 

Kaum sind Maut und Bundesinfrastrukturgesellschaft von der Berliner Koalition beschlossen, geht es Schlag auf Schlag: SZ vom 31. Mai: »EU-Kommission plant einheitliche Maut für ganz Europa … Die Gebühren sollen künftig nur noch nach gefahrener Strecke bemessen werden«; FAZ vom 6. Juni: »Umweltbundesamt will hohe Maut und keine Pendlerpauschale mehr«, Benziner sollen 6,5 Cent pro Kilometer zahlen.

 

Da hat doch der Ruhig Fury! in Sichtweite seiner Koppel eine der neuen Siedlungen, wie sie ja überall an den Ortsrändern entstanden sind. Junge Familien sind da aus dem überteuerten München aufs Land gezogen und zahlen als Doppelverdienerhaushalt die auf Kante genähte Hypothek ab. Mann und / oder Frau pendeln zur Arbeit. Die A 94 macht’s ja möglich.

 

Und jetzt kommt ein einfaches Rechenbeispiel: 220 Arbeitstage mal in Summe 100 km/Tag mal 6,5 Cent/km kosten dann schnell mal 1.430 Euro im Jahr.

 

Dem Familieneinkommen werden so 120 Euro monatlich entnommen. Für was eigentlich? Das Bundesumweltamt behauptet, die Maut solle „Anreize“ schaffen für klimafreundlicheres Mobilitätsverhalten, um die verbindlichen Klimaziele einzuhalten.

 

Ruhig Fury! kann da nur wiehern. Die Maut ist offiziell eine tragende Säule im Finanzierungsmodell der Bundesinfrastrukturgesellschaft, sprich: Sie finanziert die Bundesfernstraßen. Der Verkehr hat seit 1996 um 50 Prozent zugenommen. Der von der Koalition im Dezember 2016 beschlossene Bundesverkehrswegeplan basiert auf einem weiteren Wachstum um bis zu 40 Prozent bis 2030. Doch im Dezember war bereits bekannt, dass wegen des Plus an Treibhausgasen aus dem Straßenverkehr das Klimaziel 2020 bereits um 12 Prozent verfehlt ist.

 

Das heißt, jeder Cent Klimamaut geht in den Ausbau der klimaschädlichen Infrastruktur, auch der B15 neu. Das Auto hat mit einem Marktanteil von 80 Prozent das Monopol auf dem Mobilitätsmarkt. Investitionen in Alternativen zum Auto müssten schon einen sehr hohen Gewinn versprechen, um Kapital anzuziehen. Vielleicht wäre ja jedes Angebot, das preislich etwas unter 120 Euro monatlich liegt, für unsere Pendlerfamilie ein Anreiz zum Wechseln …

 

Was folgt aus all dem? Die B15 neu nicht zu bauen, wäre das klimapolitische Gebot der Stunde. Stattdessen erleben wir ein zynisches politisch-theologisches Schauspiel: Die böse Welt ist so, dass du Klimasünder bist und deshalb zahlst du uns dafür einen Ablass, mit dem wir dafür sorgen, dass du immer weiter sündigen musst.

 

Im Lutherjahr sollten einige Leute in Berlin – ja, auch du, Sankt Martin – mal zu denken anfangen. Nicht der Ablass heilt die Sünde, sondern die geänderte Haltung; sich selbst gegenüber, den Menschen und den Ressourcen der Welt.

 

»Es gibt kein richtiges Leben im falschen«, schrieb T.W. Adorno 1947 im Angesicht der Trümmer. Und meinte damit: »Es lässt sich privat nicht mehr richtig leben.« Wohl wahr.

 

Bis zum nächsten Mal

Euer Ruhig Fury!

29. 6. 2017

 

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